Bangor 1997-98 (Fortsetzung)

Vera Trobisch

(Inhalt)


Schnee in Belfast

Heute waren wir in der kleinen Stadt Belfast. Liegt am Meer. Alles so um 1870 gebaut. Sehr malerisch. Viele Häuser sind aus roten Ziegelsteinen gebaut. Seit wenigen Jahren wird liebevoll renoviert. Die Stadt reagierte auf den zunehmenden Verfall von Bausubstanz und Moral. Die Kriminalität stieg ständig an. So beschlossen die Einwohner ihr Städtchen wieder attraktiv zu machen. In ehemaligen Bahnhof hat sich ein kleines Theater eingerichtet und der Zug wird für wöchentliche Rundfahrten entlang der Küste genutzt. Eine alte Dampflok kam da wieder zu Ehren.

Es hatte so 2 Grad unter Null. Durch den Wetterbericht vorgewarnt erwarteten wir eine Kaltfront. Wie plötzlich die aber hereinbrach überraschte uns doch.

Mit Sonnenbrille und dem Gefühl doch eine Lage zuviel angezogen zu haben schlenderten wir am Hafen entlang. Eine dramatische Wolke ließ mich die Brillen tauschen und innerhalb von 5 Minuten ein Schneegestöber, daß man kaum noch atmen kann und die Straße ist weiß.

Eine gute Gelegenheit die kleinen Läden auszukundschaften. Im einen Geschäft, Coyote Moon, sah ich ein traumhaftes Kleid. Nur die Farbe, es war halt nicht schwarz. Sie werden es wieder bestellen. Vielleicht werden wir doch da nochmals reinschauen.

Wer hätte das gedacht! In einem kleinen Lädchen für exquisites Küchenzubehör findet man sogar einen "Spätzleschwob". Völlig unerwartet. Wer da wohl sowas kauft?

Die ersten Räumfahrzeuge rumpelten schon die Straße entlang. Da es schon dämmrig wurde, fassten wir ganz spontan zwei Entschlüsse. Erstens versuchen wir noch bei Tageslicht nach Bangor zu kommen, zweitens werden wir uns doch Winterreifen kaufen. Beides schien nicht einmal diskussionswürdig oder nötig.

Der pulvrige Schnee war noch etwas geschmolzen auf den Autos, aber innerhalb einer Viertelstunde war es bitterkalt geworden und wir mußten das Eis mühevoll von Windschutzscheibe, Rückspiegel und Türschlössern abkratzen.

Mittlerweile hatte jetzt im Windschatten draußen -12 Grad Celsius. Im Wetterbericht später in den Abendnachrichten sagten sie, daß der Windchillfactor (die Temperatur, die man empfindet) in Bangor bei minus 21 Grad Celsius liegt. An einigen unserer Storm Windows hat es Eisblumen.

Der Wind rüttelt an den Fenstern und die Wände knacken. Ich bin froh, daß wir nicht raus müssen.


Ice storm

Aber was kam, war Regen und Graupel stundenlang. Millimeter um Millimeter wuchs die kristallene Verkleidung der Natur. Auf den Straßen rutschten Lastzüge einfach in den Graben. Streufahrzeuge kamen nicht mehr von der Stelle. Ohne Unterbrechung im Einsatz schafften die Räumfahrzeuge schließlich wenigstens das Glatteis in Matsch zu verwandeln.

Immer häufiger dröhnten die schweren Motoren der Feuerwehrautos und rotierten die Rotlichter. In der Dunkelheit konnte man nicht erkennen was passiert. Plötzlich gingen die Lichter aus. Alles stockfinster. Mehr Sirenengeheul die finsteren Straßen entlang.

Wir schalteten unser winziges Batterieradio an und erfuhren, daß immer mehr Bäume dem Druck des Eises nicht mehr standhalten und umstürzen auf Stromleitungen und Straßen.

"Dicke Äste hängen lebensgefährlich über Stromkabeln und Gehwegen."5 Die Leute werden gebeten zu Hause zu bleiben. Mein Herz klopft bis zum Hals.

Alle paar Minuten sahen wir blaue Blitze. Im Radiosender riefen beunruhigte Hörer an, die das gleiche Phänomen an anderen Orten beobachtet hatten.

Ein Mitarbeiter des Elektrizitätswerkes erklärte, das sei der Schein von Lichtbogen, die entstehen, wenn ein Transformator explodiert. Das sind zylinderförmige Behälter, die an den Strommasten hängen. Das ist schon beängstigend. Alle Leitungen sind ja über Land geführt. Es ist nichts eingebuddelt. Auch in der Stadt nicht.

Wir stehen am Fenster und beobachten die Feuerwehrleute, die in voller Montur mit starken Scheinwerfern den Verlauf der Stromleitungen an der Hammond Street kontrollieren. Uns ist mulmig zumute. Ich glaube ich kann nicht schlafen heute Nacht.

Es ist ein Jahrhundertereignis lernen wir. Den letzten Ice storm diesen Ausmaßes gab es 1868. Wir wohnen ja in der Stadt, das heißt wir haben den Vorteil, daß für uns noch. vieles erreichbar ist, was wir brauchen.

Naja, denkst du, geht man halt früh ins Bett. Aber es war uns gar nicht bewußt, daß sowohl Heizung als auch der Herd nur mit Strom funktionieren. Wir hatten ja noch Glück, daß die Temperaturen nur wenig unter dem Gefrierpunkt lagen und Windstille herrschte. Wir zündeten ein Kaminfeuer an und konnten so wenigstens im Wohnzimmer etwa 14 Grad halten. Aber über Nacht muß man das Feuer ausgehen lassen, weil in einem Holzhaus, wie wir es hier üblicherweise haben, kein Feuer unbeaufsichtigt bleiben kann. Es wurde einem dann doch sehr kalt.

Mit der Taschenlampe kruschtelte ich unbenutzte Kerzen vom letztjährigen Adventskranz vor. In dicke Henkelgläser gestellt erschienen sie uns eine relativ sichere Beleuchtung. Nach einiger Zeit kamen die Katzen und setzten sich möglichst nahe vor den Kamin, was sie sonst vermeiden, wenn ein Feuer flackert. Aber es war ihnen nun doch zu kalt geworden.

Einige Geschäfte und Restaurants hatten Generatoren und so konnten wir am Tag dann etwas kaufen oder Essen gehen. Welche Läden geöffnet sind oder wo es lebensnotwendige Dinge wie Batterien, Kerosin, Propangas, Feuerholz und Generatoren gibt, wurde in Radio mitgeteilt.

In der Nacht war es zu gefährlich aus dem Haus zu gehen, weil überall die Stromleitungen durch herunterfallende Äste abgerissen sein konnten.

An den Stromkabeln arbeiten sie Tag und Nacht. Gestern sind 51 Arbeitskolonnen aus New Jersey und Massachusetts eingetroffen, die den Elektrizitätswerken hier beim Reparieren helfen. Die Soldaten der National Guard beseitigen Bäume, fahren alte Leute zum Shelter, hüten Säuglinge, bringen Nahrungsmittel mit Hubschraubern in die abgelegeneren Orte. Ein County hat es besonders hart getroffen. Dort sind auf einer Länge von 8 Meilen alle Strommasten hintereinander gebrochen. Wie Streichhölzer einfach in der Mitte gebrochen. Bei Windstille.

Mittlerweile gibt es eine Station "Nachbarn helfen Nachbarn". Wer Hilfe oder Material anbieten kann ruft im Sender an. Wer Hilfe oder Material braucht ruft auch an und die freiwilligen Leute beim Radio vermitteln. Bei einem Laden kann man heißen Kaffee umsonst bekommen, eine Tankstelle bietet Wasser an, Supermärkte, die nicht ausreichend Generatoren haben, verschenken ihre tiefgekühlten Waren an Leute die auf einem Holzofen kochen können. Beim Radiosender rufen Männer an, die einen Tip wegen des Generatoranschlußes brauchen. Ein Elektriker gibt Anweisungen. Der Sender wird immer schwächer, die Generatoren auf dem Berg brauchen Gasnachschub. Leute verabreden sich mit Schneemobilen für den nächsten Morgen, um die Gasflaschen auf den Berg zu fahren. Der Sender wird gebraucht. Am nächsten Tag klappt alles. Der Sender funktioniert.

In den Abendstunden schaltete sich plötzlich die Heizung ein. Wir sind ganz aufgeregt. Einige Sekunden, und es ist wieder vorbei. Aber wir wissen jetzt, daß sie an unserer Leitung arbeiten. Nach einigem Geflacker der Lampe, Strom für eine Stunde. Genug Zeit, das Haus aufzuheizen. Glückspilze sind wir.

Trotz Stromausfall funktioniert immer das Telefon. Wie das ? Jedenfalls ruft uns am Morgen eine Nachbarin an, die auch am Seminar studiert. Sie sagt uns Bescheid, daß die Cafeteria des Seminars Strom hat. Es sei warm und Kaffee gäbe es auch. Schnell werden die Schuhe angezogen und argwöhnisch die Äste der großen Eiche im Blick schliddern wir über die Zufahrt zum Seminar. So gut hat lange kein Kaffee geschmeckt. Aber nach einiger Zeit wollten wir doch wieder das Kaminfeuer im Häuschen bewachen, damit unsere Katzen nicht frieren und das Haus nicht ganz auskühlt.

Am dritten Tag ist auch im Seminary der Strom aus. Kein warmer Kaffee, kein Aufwärmen. Schade. Aber die Bettwärme hält doch einige Stunden vor. Wir fahren zu einem Baumarkt, der Strom hat. Wir brauchen Batterien und Kerzen. Es gibt keine Kerzen mehr, keine großen Batterien, kein Lampenöl. Etwa 100 Leute stehen Schlange in der Elektroabteilung. Was machen die da? Ein Verkäufer erklärt uns, daß sie auf eine Ladung Generatoren warten, die aus anderen Bundesstaaten angefordert wurden. Kerosinöfen gibt es noch. Ganze Paletten voll stehen am Eingang gleich bereit. Aber es ist gefährlich, sie im Haus bei geschlossenen Räumen zu benutzen. Es sind bereits mehrere Menschen an CO-Vergiftung gestorben.

Mehrere Male am Tag schaltet sich unsere Testlampe ein. Die Vorfreude auf das Brummen der Heizung verkürzt die Wartezeit. Zwischendurch ein telefonischer Wetterbericht nach Deutschland. Ich muß einfach jemandem von diesen beeindruckenden Erlebnissen erzählen. Erst wurden die Leitungen repariert, wo möglichst viele Leute versorgt werden. So hatten wir einen Vorteil, weil wir an einer wichtigen Durchgangsstraße wohnen. Die anderen müssen leider noch warten, manche wohl mehrere Wochen noch.

Mittlerweile sind fast alle Leitungen repariert, die Schäden geschätzt und die Nachbarschaftshilfe eingespielt. Wir hatten die Kälte und das Eis überstanden, aber da brachte eine Wetterfront ungeheure Niederschlagsmengen. Über den eisverglasten Schneebergen schüttete es stundenlang Regen, der nicht schnell genug sich einen Weg suchen konnte und die Abkürzung ins Haus nahm. Fast in jedem Haus tropfte es an mehreren Stellen durch die Decke. So auch bei uns. Das kleine Vordach über unserem Sunroom bescherte uns einen ergiebigen kleinen Brunnen.

Inzwischen haben wir etwa 80cm Schnee und Eisschichten mit dem Pickel abgetragen und das Dächle frei geschaufelt. Es war Schwerarbeit. Aber außer Müdigkeit, Wasserblasen und aufgeschlagenen Knöcheln ist uns nichts passiert, und das Dach ist auch noch ganz.


Große und kleine Tiere

David hat einen Urlaubstag genommen. Er hatte es auch dringend nötig. Wir haben beschlossen in den Norden zu fahren, zum Moosehead Lake. Der See sieht wirklich so schön aus wie auf den Prospekten. Vom Auto aus. Für einen Spaziergang hatten wir keine gute Zeit gewählt, denn von weitem sah man Wolkentürme aufragen, die auch schon vernehmliches Grummeln und erste Regentropfen produzierten.

David wollte nur mal wieder Berge sehen, und so beschlossen wir, am See entlang weiter nach Norden zu fahren, um einen andächtigen Blick auf den Mt. Katahdin zu werfen.

Es war schon an der Karte abzulesen, daß die Straße "passable" sei. Aber was heißt das schon? Teer oder Schotter? Wir wollten es jedenfalls versuchen. Die Straße wurde enger und holpriger. Nach einiger Zeit begann Schotter.

Ein wenig skeptisch schaute ich auf meinen Chauffeur, aber je holpriger die Straße umso vergnügter der David.

"Zeit haben wir genug, und getankt haben wir auch!" So sind wir gemächlich durch den Wald gefahren. Der Wald gehört, wie fast aller Baumbestand hier in Maine, einer Papierfabrik. Sie erhalten auch die breite Schotterstraße. So etwa 60 km, unsere Strecke. Auch im leichten Regen war die gut präparierte Fahrbahn nicht gefährlich.

Da plötzlich stand aber, nicht nur ein Auto mit einem New Yorker Kennzeichen sondern, wie der Name des Sees schon verspricht, ein "Moose" auf dem Weg. Besser eine Frau Moose. Ein elegantes Tier, das so gar nicht meinen Erwartungen eines plumpen, vielleicht sogar etwas dümmlichem Tier entsprach. Interessiert, aber nicht ängstlich, beobachtete sie uns abwartend. Das Paar aus New York hat uns angestrahlt, und beide sind wir vorsichtig weitergefahren.

Moose.jpg (10042 bytes)Nach einigen Meilen kamen wir an eine Absperrung. Eine freundliche Dame in einer Uniform ließ uns ein Formular ausfüllen und auf meine ganz aufgeregte Mitteilung, daß wir ein Moose gesehen haben, meinte sie, sie sei überzeugt, wir würden auf der Fahrt nach Millinocket noch mehr sehen. Naja, ein bißchen Hoffnung hat sie uns schon gemacht. Es war ja immerhin unser erstes "moose sighting" seit wir hier in Maine wohnen.

Nach einer Weile weiterrumpeln, mitten auf der Straße ein junger Elch. Er hatte sich auf den Knien niedergelassen und trank Wasser aus einer Pfütze. Eine ganze Zeit haben wir gewartet, ehe wir weiterfuhren. Völliges Unverständnis unsererseits für die Geschmacksverirrung der Moose. Noch.

"Wasser wäre doch genug da, drüben im Wald! Warum bleiben die Tiere einfach so auf der Straße?"

Also doch dumm? Der junge Elch machte einige schnelle Schritte unter die Bäume, und da verstanden wir ihn. Eine große, dichte Wolke von kleinen Insekten stürzte sich auf das Tier.

Es ist die Zeit der "Black Flies". Die sind so, daß die Mainer sagen: "They carry the moose away!" Sie sind wirklich eklig. Sie beißen ganz unangenehm, so daß der Biß lange heftig blutet. Und jucken tut es wie verrückt. Man kriegt riesige "Bollen", die sich lila verfärben. Sie bleiben manchmal wochenlang. Anscheinend sind sie den europäischen Kriebelmücken vergleichbar. Jedenfalls sieht man ihretwegen auch so viele Moose. Die Tiere werden so geplagt, daß sie sich auf die gerodeten Flächen retten. Es hat mir so leid getan, daß wir sie kurzzeitig von der Straße vertreiben mußten.

Da die Schotterstraße von dem leichten Regenschauer schön schlammig war, widerstanden wir der Versuchung auszusteigen. Bis wir da an diese Abzweigung kamen.

Auf einer Anhöhe, mit weitem Blick, eine Landschaft, die sich unglaublich malerisch vor uns ausbreitete. Richtige Biberlandschaft. Flache Gewässer mit Dämmen aus abgestorbenen Ästen, die schon ganz ausgebleicht sind. Wilde blaue Iris und Lupinen und rostrote Blumen, die ich vorher nie gesehen habe. Auf der Straße zwei große Elche. Der Wind kam uns entgegen, und so ließen sie sich durch unseren Benzingestank nicht stören. Fotoapparat, leise die Tür aufmachen und fassungslos die Ohren und Augen aufsperren. So schön war es da. Fremde seltsame Laute kamen da aus dem Wasser, große Libellen zickzackten über die Köpfe riesiger Frösche weg. Einer versuchte seinen Imbiss im Sprung zu erwischen. Es ging zu schnell. Ehe ich ihn genau sehen konnte, war er mit einem Platsch weg. In den hohen Bäumen hinter uns eigenartige Vogellaute, vor uns die imposanten stolzen Elche.

"Fressen dich denn die Mücken nicht?" fragt mein David und holt mich auf den vor Insekten surrenden Boden zurück.

Da erst bemerkte ich das Beißen am Ohr und auf dem Kopf. Schon auf der Flucht. Hatte ich doch so viel Respekt vor den Moose, daß ich nicht an die präventiven Maßnahmen zum Schutz vor den fliegenden Plagegeistern dachte. Ich hastete mit blutenden Bissen an Kopf und Ohr ins Auto.

David murmelt noch ein vorwurfsvolles: "Du hast die Autotür offengelassen!"

In den wenigen Minuten waren schon einige Biester vor mir eingestiegen. Mit mir noch etwa 20 weitere kleine schwarze Verfolger, die im geschlossenen Raum zum Angriff übergingen. Zweimal erwischten mich ihre Beißer noch am Oberarm, ehe alle ein schlagartiges Ende gefunden hatten. War es nun Menschen- oder Elchblut, was wir im Auto verspritzten?

In der Nacht und am anderen Tag schmerzen Kopf und Arm sehr unangenehm, und ich sinne auf Rache. Wie ist das noch mal mit der Bekämpfung der Rheinschnaken? Könnte man da nicht was in die Wege leiten?

Mein ganzes Mitgefühl heute mit den armen Moose, die kein Auto haben, in das sie sich flüchten können. Sollte man da vielleicht ansetzen? Eine neue Art "Elchtest"? Wäre die S-Klasse den Bedürfnissen der Elche angemessen?


4. Juli, Independence Day.

Schon vor Wochen sorgten sich die Leute um unser Unterhaltungsprogramm am höchsten amerikanischen Feiertag, der dieses Jahr günstigerweise auch noch auf einen Samstag fällt.

Wir hatten einen wunderschönen Tag. Morgens fuhren wir mit unserer Bekannten, Ginger, und ihrem Collie, Lady Jane, nach Castine ans Meer. John, ihr Mann, mußte noch bis Nachmittag im Labor arbeiten, und sollte dann nachkommen. Die Eltern haben in Castine ein Haus und mehrere Hektar Land. Darauf steht auch das Haus ihres Bruders und nahe dabei 6 kleine Cottages, die vermietet werden. Es ist schon arg schön da.

Nach dem Ausladen von Hund und Fressalien für das Picknick am Nachmittag sind wir in das Städtchen gefahren um uns die 4th of July Parade anzusehen. Es ist eine Parade nur von Kindern. Vergleichbar etwa einem Sommertagszug in Deutschland. Es war ganz süß. Junge Väter trugen kleine Bienen auf dem Arm, kleine Prinzessinnen tippelten an der Hand der Mutter und disziplinierte Boy Scouts (Pfadfinder) marschierten zu der etwas quiekigen Musik einer Band, die sich zum ersten mal zusammengefunden hatte um zu spielen. So klang das dann halt.

Ältere Schüler hatten den größten Erfolg, sie machten sich als Touristen mit Kameras und üblichem Benehmen über so manche Einnahmequelle lustig. Gegen eine Geldspende gab es dann Hotdogs (heiße Hunde) und Lemonade. Die Hunde haben geschmeckt wie deutsche Wiener. Was die wohl für Hunde verwenden? Die Amis.

Gingers Vater hat ein ganz schön großes Boot. Er hat uns auf eine kleine Fahrt eingeladen. Das Meer war sehr rauh, deshalb schipperte er uns ein Stück die Penobscot Bay hinauf. Er hatte eine kleine Insel aus abgerundeten Felsen anvisiert, und wie er erhofft hatte, lagen da sicher mehr als ein Dutzend Seehunde in der Sonne. Die Felle glänzten von golden braun bis kupferrot. Wir waren ganz beeindruckt.

Vorsichtig tuckerte Loyd, er ist 70, sein Boot wieder in die Gegenrichtung, um die Seals nicht länger zu stören.

Im Hafen dann brauchte Ginger erst mal ein Eis. Das war für uns natürlich keine Strafe, sondern Beispiel zur Nachahmung. Bevor wir zum Auto gehen konnten, mußte ich noch den Laden der "Waterwitch" inspizieren. Aber sie hat nichts an mir verdient. Hätte aber leicht sein können, wenn die Farbe der Stoffe gestimmt hätte.

Ungläubiges Stirnrunzeln etwas später beim Anblick des rechten Vorderreifens. Platt. Wir auch. Aber Ginger wußte, daß es grad über die Straße einen Preßluftautomaten gibt. Vielleicht wegen der Schlauchboote? Jedenfals gurkte David dorthin und wir füllen Luft in den Reifen. Mit etwas mulmigem Gefühl lassen wir uns noch zum kleinen Badestrand von Castine dirigieren. Mit einer Scherbe "Beach pottery" (Strand-Keramik) und drei abgeschliffenen Ziegelsteinen für Ginger in Kofferraum, wagten wir den Reifentest bis zum Haus von Gingers Eltern. Die wunderbare Seeluft hat der Reifen bei sich behalten. Spontanheilung?

Es war so strahlender Sonnenschein, daß David schon einen Hauch von Sonnenbrand hatte und sich nur noch mit geliehener Baseballkappe rauswagte. Und raus gingen wir. Spaziergang zum Strand, der allerdings ein richtiges Miesmuschelfeld ist. Auf dem Weg dahin war es etwas holprig, da ist die Vera nicht aufs Maul, sondern auf den Po gefallen, weil sie umgeknickt ist. Nach kurzem Wehklagen wegen des Schmerzes, ging es glücklicherweise doch wieder weiter. Nicht gepienst!

Loyd, der Vater von Ginger, makelt Häuser. Er mußte zu einem Haus fahren, das verkauft werden soll. Der Preis sollte um 390000$ sein. Als er Begleitung suchte, war es natürlich keine Frage. Wir waren dabei. Ich bin ja so neugierig. Aber das Attraktive war wohl das riesige Grundstück. Erst Rasen, dann alter Baumbestand mit kleinem Bach, weiter undurchdringliches Buschwerk bis runter zum Strand.

Naja, ganz schön, aber allein das Rasenmähen und übrige Betreuung des unbewohnten Hauses 1000$ im Monat. Da haben wir dann doch großzügig verzichtet. Das Haus hat uns nicht gefallen. Die Bäder, 4 allein im oberen Stock, hatten alle kein Tageslicht. Die Küche ist völlig überdimensioniert. Aber wir wollten ja wissen, wie ein Haus um diesen Preis aussieht. Das wissen wir jetzt. Wir sind gerne wieder heim gegangen.

Dann schließlich die Hauptattraktion des Tages: das Picknick. Es gab die unvermeidlichen Hot dogs und Hamburger, aber so gut. Gegrillt wurde auf dem Deck, der üblichen amerikanischen hölzernen Terrasse. Es war windig, nicht zu warme Sonne, keine Fliegen, Mosquitos oder sonstige lästige Flügler. Die Bohnen schmurgelten in leicht süßer klarer Soße und der Kartoffelsalat war vorzüglich. Man merkt halt doch, daß man im Kartoffelland lebt. Im Mittelwesten kennen sie das nicht. Maiskolben wurden abgeknabbert und ich sonnte mich im Lob, das unentwegt in unendlichen Variationen zu hören war.

"The bread is so delicious". "I have rolls, but I won´t eat them, when we can have this bread." ("Ich habe zwar Brötchen, aber ich will keines essen, wenn wir solches Brot haben.")

Die Hausfrau weigerte sich das amerikanische Softpaket auf den Tisch zu bringen. Schon vor dem Essen holte sich jeder immer wieder eine Scheibe Brot mit Butter. Ich hatte verschiedene Sorten gebacken. Das hat mir gut getan. Das Lob.

Am Abend dann, nach einem prüfenden Blick auf unseren lädierten Reifen, wollten wir dann doch zum Feuerwerk zurück nach Bangor fahren. Er hat dann die Luft angehalten bis nach Hause. Der Reifen, meine ich. David war ganz zuversichtlich.

Gespannt waren wir schon auf das Feuerwerk. Privates Knallen ist ja verboten, und so hofften wir auf ein angemessenes Ende des Feiertages.

Was soll ich sagen? Alles ist in Maine ein wenig langsamer, auch das Feuerwerk. Wie das geht?

Naja, man schießt genüßlich immer eine Rakete nach der anderen hoch, damit man jede ausgiebig bewundern kann, vermute ich. Man sah alle Sorten von Glitzerregen und Ringen aus farbigen Kugeln und Fontänen, wie in Deutschland auch. Nur eben eines nach dem anderen. Ich hoffte erst durch etwas Nörgeln, dann durch Zuspruch dem Ganzen etwas Dampf zu machen. Ganz am Schluß steigerten sie sich aber dann doch noch und mehrere schöne Kugelgebilde explodierten tatsächlich gleichzeitig. Ich versuchte zu fotografieren, aber das ist wohl nix geworden.

An Tag danach bemerkte ich, daß jemand, von der obersten Stufe der Treppe, meine Grünlilie geklaut hat. Ich hatte sie zum Gießen rausgestellt, weil das Wasser immer unten rauströpfelt. Da hab ich mich dann aber geärgert.

Vielleicht hat die Grünlilie aber auch nur den "Unabhängigkeitstag" etwas zu wörtlich genommen. Die anderen Blumentöpfe sind mit einem Draht wegen des Windes gesichert. Wie schlau von mir. Wenigstens nur ein Blumentopf weg. Jetzt kriegt Max halt einen neuen. Der kaut nämlich so gerne die Blätter ab. Hat Simon ihm beigebracht.


Nova Scotia

"Eine Woche Urlaub kann man sich schon nehmen!" Meint David.

Schon seit einigen Wochen senden die lokalen Fernsehstationen Werbespots für Urlaub in Nova Scotia. Eindrucksvolle Küstenlandschaft mit geheimnisvollen Felsformationen lassen die Urlaubspläne Richtung Norden wandern. Eigentlich erwarten wir ja das Ende der Welt nördlich von Maine. Aus eigener Erfahrung, bei einem Ausflug mit Roscoes, wußte ich aber schon, daß zumindest hinter der Staatsgrenze zu Canada noch ein kleines Grenzstädtchen, St. Stephens, den Anschein von Zivilisation vermittelt. Wir waren uns nicht mal sicher, ob die Leute in New Brunswick nun Englisch oder Französisch reden.

Gerade noch vor der Abreise kam die Informationsbroschüre über New Brunswick und Nova Scotia an. Also, die Sprache ist Englisch. Wir wollten die Bay of Fundy ansteuern, die die höchsten Gezeitenunterschiede auf der Welt hat.

Zwei Ignoranten aus Bangor, Maine, machen sich also auf nach Norden zu fahren. Einige Stunden Straße, Bäume, Bäume, Straße, Grenze, Straße Bäume und dann … New Brunswick (Neu Braunschweig).

"Hier sieht es plötzlich ganz europäisch aus!"

Keiner von uns beiden weiß allerdings zu sagen was das genau ist. Diese Frage sollte uns aber noch einige Tage beschäftigen. Erst mal waren überall intakte Gehwege und Straßen ohne Schlaglöcher. Vielleicht auch die sorgfältig aufgemalten Straßenmarkierungen und die Entfernungsangaben in Kilometern?

Auf einer kleinen Straße die Küste entlang. Bei Ebbe liegen große Felsen einzeln am Strand. Hat die letzte Eiszeit da vergessen.

"Ein Adler, ein großer Weißkopfadler!"

Noch nie habe ich das Wappentier der USA "in echt" gesehen. Und noch mehr Natur. Große Hecken mit pinkfarbenen gefüllten Blüten übersät auf Waldlichtungen am Straßenrand. Das muß abklärt werden. Es sind tatsächlich Heckenrosen oder wilde Rosen. Seltsam und schön. Einfach so da.

Auf der Karte suchen wir uns einen schönen Platz zum Übernachten am Meer. Wie es aussieht führt die einzige Straße zu dem Städtchen durch einen Naturpark. Da ist natürlich auch eine Schranke mit einem Kassenhäuschen. Arglos läßt David die Scheibe runter um das Eintrittsgeld zu bezahlen. Unvorsichtigerweise lächelt die junge Frau erst mal ganz freundlich. Dann knirscht es gruslig zwischen ihren Zähnen, bevor sie abwehrend das Screenwindow zuschiebt. Nein, David hat ihr nichts getan, aber er hat auch den Fensterheber so energisch gedrückt, daß der Knopf fast in die Konsole gepreßt wurde. Ich saß auch nicht einfach nur da, sondern sprühte wie wild die chemische Keule gegen die eindringende Mückenwolke.

"Und in so´ne Gegend fahren die um sich zu erholen!" japste ich ganz entsetzt.

Die ersten Kilometer war ich noch mit Mücken erschlagen beschäftigt und mit dem Grübeln über die aufopfernde Freundlichkeit der Parkwächterin.

"Hier wird sogar Blutzoll verlangt!"

Das hatte uns natürlich vorher keiner gesagt. Doch an der Küste angekommen waren auch die Blutsauger verschwunden bis auf einige ganz ordinäre Schnaken.

Vor der Dämmerung noch ein Spaziergang am Strand. Dicke weiße Nebelschwaden lösten sich vom Wasser und schoben sich an den Uferhängen hoch. Kein Sandstrand, nur faustgroße, abgeschliffene Steine.

Die Flut kommt so schnell, wie wir es noch nie gesehen haben. Jede Welle kommt deutlich näher als die vorherige. Sie schlägt die großen Kiesel aneinander. Nimmt man einen Stein und betrachtet ihn, so erkennt man, mit welcher Kraft die Steine aufeinander prallen. Jeder Stein hat helle Markierungen, wie Narben. Ich habe mir einen Stein eingesteckt. Er erinnert mich an unsere Lebensgeschichten. Wir haben doch auch Narben davongetragen, wo wir der Gewalt der Ereignisse nicht ausweichen konnten.

Wenigstens die Zeiten für Ebbe und Flut hatten wir uns besorgt, so daß wir wie den Touristen geraten, bei Ebbe zu den eigenartigen Formationen der Küste kamen.

In Hopewell, an einer besonders sehenswerten Stelle, kann man über eine Metalltreppe die Höhe des Tidenhubs überwinden und auf den trockenen Meeresboden hinuntersteigen. Es sind 12 m. Das Gestein ist ein eigenartiges Mittelding zwischen Buntsandstein und Erde. Zwischendurch sind auch dünne Schichten Kies eingelagert. Die weiche Konsistenz macht die Erosion des Bodens leicht. Es entstehen säulenartige Gebilde, die oben manchmal bei Flut noch über die Wasseroberfläche hinausragen und kleine Inselchen bilden. Wegen der Größe, die gerade mal für ein, zwei Bäume und ein paar Grasbüschel reicht, nennt man sie "Blumentöpfe". Als ich dann durch den Sucher der Kamera die merkwürdige geformten Felsgebilde betrachtete, bekam ich doch Zweifel ob denn die Motive so geeignet sind für das Familienalbum. Sie sehen ja eindeutig unanständig aus. Also hiermit soll sich jeder selbst ein Urteil bilden. Was hat nun der Name "Hopewell Rocks" mit den Formen zu tun?

David war wieder nach einem kleinen Abenteuerchen zumute. Das Schild "Beach Access" reizte. Die Straße wurde immer enger und enger, bis klar war, daß man nicht mehr umdrehen kann. David fing an zu erzählen, wie Stephen King die Fahrt eines Ehepaares beschreibt auf einer immer enger werdenden Straße wo es keine Wendemöglichkeit gab. Es war schon dämmrig, als die Straße tatsächlich plötzlich aufhörte.

Stand da doch einfach ein rot weißer Leuchtturm und blinkte auf´s Meer. Ja, ein bißchen unwohl war mir schon, als wir um den Turm stiefelten. Doch wie zum Trost hatten da zwei vierblättrige Kleeblätter schon auf mich gewartet. Wie wir so dastanden im Halbdunkel, da kommen langsam zwei Scheinwerfer den Hügel herauf. Nein, Stephen King war es nicht, auch kein Verbrecher auf der Flucht, es war nur ein junges asiatisches Pärchen, das wohl auch der verführerischen Ankündigung des Strandzuganges erlegen war. Ich schenkte ihnen eines der Kleeblätter. Vielleicht aus Erleichterung, wer weiß.

Wieder einmal hatten wir uns nicht besonders vorbereitet, so wie unsere Freunde die Klemenzens das so vorbildlich machen. So besorgten wir uns an der Grenze zu Nova Scotia auf die Schnelle ein paar Informationen. Wenigstens konnten wir dann herausfinden, um welche große Universität es sich handelt, in der kleinen Stadt Antigonish. Erst als wir am Abend beim Spaziergang und im Restaurant fast nur indische Frauen im Sari und Männer in dunklen Anzügen mit steifem Kragen sahen, war klar, daß die Universität von Jesuiten geleitet, sich vor allem der Entwicklungshilfe gewidmet hat.

Am Morgen gab es Frühstück in einer Bäckerei mit "europäischem" Angebot. Wie sagte meine Kusine? "Es ist schade, daß man nicht mehr essen kann." Ja, das war eine Abwechslung. Echte Croissants und Plunderteigstückchen. Aber wie immer bei langen Autofahrten muß ich ein wenig vorsichtig sein mit dem Essen. Sonst rennt die Vera, nicht nur das Auto.

Der Tag hatte nun ja ganz gut angefangen. Wir peilten auf der kleinen Küstenstraße die nördliche Spitze der Halbinsel "Neuschottland" an. Die Häuser stehen in immer weiteren Entfernungen. Hin und wieder ein größerer Bootssteg mit ein paar Hummerfallen. Lange nur zerklüftete Küste und malerische Buchten, so richtig für Aquarellbilder. Jetzt mußte ja bald die Stadt Canzo zu sehen sein. Aber nach der ersten Häusern war sie schon wieder zu Ende.

Schnell umgedreht und da gab es doch tatsächlich ein kleines Museum für uns. Direkt am Hafen, eigentlich ist es ein "Häfele", das ehemalige Wohnhaus einer Familie Whithouse. Die Wohnungseinrichtung einer wohlhabenden Familie um die Jahrhundertwende. Endlich erfuhren wir die Bedeutung des kleinen Ausgucks auf den Dächern vieler alter Häuser, die nach einigem Wohlstand aussehen. Es ist ein "Widow walk". Eine Treppe führt ganz nach oben aufs Dach, wo eine kleine Aussichtsplattform, manchmal sogar verglast, der Seemannsfrau ermöglicht Ausschau zu halten nach ihrem Ehemann. Ja, und manchmal war sie dann auch Witwe und hielt vergeblich Ausschau.

Wir fragen nach einer Übernachtungsmöglichkeit, aber da haben wir Pech. Wir müssen wieder eine ganze Strecke zurückfahren um zum einzigen Motel der Gegend zu kommen. Wir finden einen richtigen Familienbetrieb. Man kann auch ausgiebig frühstücken. Diese guten Aussichten lassen uns dann noch einen kleinen Ausflug riskieren.

In Little Dover gibt es einen malerischen Strandweg. Von einem Parkplatz aus führt ein befestigter Bohlenweg durch sumpfiges Ufergebiet zum Strand. Veras Hauptbeschäftigung: Beschimpfen des recht zahlreichen Schnaken-Empfangskomitees. Zu allem noch sehn wir in einiger Entfernung ein Paar und einen freilaufenden Hund. Eigentlich wollte ich ja gar nicht weitergehen um dem Hund nicht begegnen zu müssen. Aber David hatte schon seinen tadelnden Blick, daß ich leise murrend vorwärts stiefelte.

"Warum die Leute auch ihren Hund nicht bei sich behalten!" Auf Tuchfühlung an Davids Seite ging ich zügig an den freundlich grüßenden Leuten vorbei. Nach einigen Minuten, es wurde schon dämmrig, schlängelte sich der Weg durch dichten Wald, und irgendwas bewegte mich, mich umzudrehen. Keine zwanzig Meter hinter uns ging mitten auf dem Weg der schwarze Hund, den wir vorher gesehen hatten. Unheimlich. Der Hund blieb auch stehen. Er kam dann immer näher, der Wald wurde immer düsterer und wenn wir stoppten, blieb auch der Hund stehen. Mittlerweile hatte es auch noch angefangen leicht zu regnen. Wir beschleunigten den Schritt und unser vierbeiniger Begleiter hatte nun aufgeschlossen und trottete zwischen uns den Weg entlang. Ich beäugte ihn vorsichtig Er hatte schwarzes Fell und zwischen den Augen war er schon etwas grau. Einen Blick hatte er …

Bis wir wieder beim Parkplatz waren, gab es schon Überlegungen, was wohl unser Maxekater zu einem Hund sagen würde. Nun ja, Lieschens Reaktion stünde außer Frage. Fauchen und Kratzen. In der Nähe des Parkplatzes entdeckten wir ein Kiosk. Der Mann, der da war, er sagte nicht, daß es sein Hund ist, aber wir denken schon , daß er ihn kannte. Jedenfalls legten wir ihm ans Herz sich um ihm zu kümmern. Trotzdem beschäftigte uns das Hundevieh noch häufiger. Hatte er mich doch schon herumgekriegt ihn zu mögen.

Den ganzen nächsten Tag folgten wir der kleinen Küstenstraße. Auch zu viel Schönheit kann ermüdend sein. Kleine Umwege ließen uns seltene fleischfressende Pflanzen entdecken, aber leider auch blutsaugende Tiere. So weigert sich Vera an einem sehr malerischen Bed & Breakfast auch nur auszusteigen.

"Nicht mal zickig", räumte David ein, denn ums Eck kurvte gerade ein Mann auf seinem Rasenmäher. Er trug einen Insektenschutz wie die Imker. Da war auch für David der Vorschlag erledigt.

Hätten wir längere Ferien geplant, so hätte uns die Stadt Halifax gereizt. Eine europäisch anmutende Großstadt durch die mittendurch Ozeanschiffe fahren. So, blieb uns nur ein flüchtiger Eindruck und Motivation zum Wiederkommen.

Plötzlich war da ein Überangebot an Übernachtungsmöglichkeiten. Die letzte Nacht in Nova Scotia wollten wir dann doch am Meer verbringen. Die Wahl fiel auf Lunenburg.

"Klingt so deutsch!"

Das eine Hotel war zu teuer, das andere voll, da blieb uns zum Schluß noch ein Motel. Also schauen wir es uns halt mal an. Es ist auch tatsächlich noch was frei. Der Mann an der Rezeption hat einen starken Akzent. Aus dem Nebenraum hört man die Stimme einer Frau und Kinderstimmen … allemannischer Dialekt. Ich mache David aufmerksam und weiter geht die Unterhaltung auf Deutsch.

Vor fünf Jahren kam die Familie nach Lunenburg und hat sich ein Motel aufgebaut. Lunenburg, alte deutsche Siedlung und auch neu deutsche. Wir bekommen zum Nebensaisonpreis ein Zimmer. Das heißt nicht nur eines sondern praktisch eine kleine Wohnung mit Schlafzimmer und Wohnzimmer, voll eingerichteter Küche und großem Bad mit Whirlpool. Alles da: Kochgeschirr, Eßgeschirr, Waschmaschine, Spülmaschine, alles deutsche Wohnkultur. Uns tut das mal wieder gut. Ein Lichtschalter wo er hingehört, Dusche wie man sie sich wünscht und alle Küchengeräte wo man sie erwarten darf. Sehr empfehlenswert.

Der Abendspaziergang durch das kleine Städtchen zeigt uns die engen Straßen und gepflegten Häuser als malerische Kleinstadt, wo die Leute leben und nicht nur Touristen abkassiert werden. Im Hafengebiet steht ein Denkmal, dort lesen wir die Liste der Namen aller Männer der Stadt, die auf See geblieben sind. Eine traurige Chronologie der vorwiegend deutschen Namen, deren Schreibweise sich dem Englischen angepaßt hat, die aber bis heute zahlreiche Opfer derselben Familien verzeichnet.

Wir honorieren auch die Beziehungen zu Bangor. Außerhalb von Lunenburg, dem touristisch ausgerüsteten malerischen Städtchen, wurde ein Stephen King Film gedreht. Mußten wir uns natürlich anschauen. Sehr malerisch. Karge Landschaft, Armeleutegegend. "Dolores Claiborn". Wir liehen uns zu Hause den Film aus. Ja, man kann es wiedererkennen. Der Film ist sehenswert, keine billigen Horroreffekte, eine Geschichte zwischen Mutter und Tochter eigentlich.

Für die Rückreise von Nova Scotia nach Maine haben wir uns für die schnellste Möglichkeit entschieden. Vom Südende der Halbinsel, der netten Hafenstadt Yarmouth aus, wurde in diesen Sommer eine Hochgeschwindigkeitsfähre nach Bar Harbor zum erstenmal eingesetzt. Sie ist ein Katameranboot und fährt mit 55 Meilen pro Stunde. Die Fahrt, die früher 6 Stunden gedauert hat, wird nun auf zweieinhalb Stunden verkürzt. Die Fähre kann 900 Leute und 300 Autos transportieren.

Wir waren schon ganz gespannt. Aber wir mußten noch einige Geduld aufbringen. Die geplante Abfahrt um 20 Uhr von Yarmouth verzögerte sich wegen des Wetters. Mittlerweile hatte es zu regnen begonnen und dichter Nebel zog vom Meer in die Stadt. Um 20 Uhr war die Fähre noch nicht mal angekommen.

Plötzlich ein Dröhnen des Nebelhorns und da taucht aus der Nebelwand ein, na was, ein Gefährt auf, das aussieht, wie ich mir ein Raumschiff vorstelle. Ein riesiges verhältnismäßig flaches Schiff auf zwei "Kufen". Ja ich weiß, ein Katameran halt. Es hat auch noch eine futuritische Lackierung. Schwarz Weiß. Eine stilisierte Katze ist an der Seite zu sehen, so ist auch der Name: "Cat". Wir stehen da mit offenem Mund.

Aber schon kommt Bewegung in die wartende Meute und wir dürfen auf die Fähre fahren. Sehr imposant. Restaurant, kleines Spielcasino, Kino, Duty Free Shop und großzügige Aufenthaltsräume.

Wir gehen zur Rückseite des Schiffes und wollen die Motoren bei der Abfahrt ihre Wassermassen bewegen sehen. Gar nicht so berauschend, finden wir. Leise, wie eine Katze halt, verschwindet die Fähre aus dem Hafen in die Dunkelheit.

Nun ja, hatte nach mehr geklungen in der Beschreibung. Doch je weiter wir uns vom Ufer entfernen umso lauter dröhnen die Turbinen. Ungeheuere Wassermassen werden jetzt zu weißer Gischt gewirbelt. Jetzt kann man die Kraft des Schiffes förmlich sehen.

Wir wollen jetzt noch sehen ob man nicht ein Stück zur Kommandobrücke vorgehen kann. Eine Tür führt nach vorne ins Freie. Wir stehen ganz unverhofft hinter der Steuerkabine. In fast völliger Dunkelheit sehen wir einige Gestalten, die eine ganze Reihe Monitore beobachten. Wir erkennen durch das Fenster auf einem der Bildschirme die Küstenlinie. Es ist schon ein seltsames Gefühl zu sehen, daß die Leute nichts sehen. Dunkel, dichtester Nebel und dann noch einen Blendschutz an der Windschutzscheibe.

Plötzlich sind wir wie vom Donner gerührt. David reißt vor Schreck die Arme hoch und ich schreie. Es schüttelt uns und wir können gar nichts dagegen tun.

Wir stehen direkt vor dem Nebelhorn. Als wieder Stille eintritt, schauen wir uns nur an. Um den nicht unwahrscheinlichen erneuten Schock zu vermeiden, treten wir den relativ ungeordneten Rückzug an. Wir erholen uns nur langsam.

Wir hatten ja Glück, daß wir uns vor Schreck nicht in die Hosen gemacht haben.

Einige Male fangen wir dann später doch an zu kichern, wenn das Nebelhorn tutet. Gut, daß uns keiner gesehen hat.


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